Überraschender Weise ein sehr emotionales Thema für beide Seiten – Schweden und Touristen. Im Augenblick ist Urlaubszeit und dementsprechend sind im Internet viele Berichte von Schweden-Urlaubern zu finden, was sie alles machen möchten oder schon gemacht haben.
Um es gleich vorneweg zu sagen: Ich spreche für die Region Småland, speziell Hallands län und Kronobergs län. Ich wohne hier jetzt schon mehrere Jahre und erlaube mir daher diesen persönlichen Kommentar.
Viele Schweden, die ich kennengelernt habe, wären heute sicherlich glücklich, wenn es statt „Jedermannsrecht“ lieber „Jedermannspflicht“ heißen würde. Diese kleine Wortschöpfung würde wahrscheinlich schon ausreichen, dass sich kaum einer mehr darauf berufen würde. Wir alle wollen ja unsere Rechte gewahrt wissen, aber von seinen Pflichten will kaum jemand etwas hören.
Aber zuerst ein wenig zur Geschichte des Allemansrätten: Der Begriff des „Allemansrätt“ ist erst nach dem 2.Weltkrieg entstanden, seine Wurzeln sind aber deutlich älter. Es gab und gibt keine Schriftform für dieses „Gesetz“, erst 1994 wurde ein kleiner Passus im schwedischen Grundgesetz aufgenommen. Hier heißt es jetzt ”Alla ska ha tillgång till naturen enligt allemansrätten” – „Gemäß des Jedermansrechtes soll jeder Zugang zur Natur haben.“
Das war und ist eigentlich die Grundidee hinter diesem Wort: Jeder darf in Schweden durch Feld und vorrangig Wald gehen, Blumen, Beeren und Pilze sammeln, ohne erst den jeweiligen Eigentümer fragen zu müssen. Alle sollen die Natur genießen dürfen, auch diejenigen, die kein eigenes Land besitzen. Man darf eine Nacht in der Natur zelten, dabei soll man aber außer Sicht- und Hörweite von privaten Wohnhäusern bleiben. Alles soll wieder so verlassen werden, wie man es vorgefunden hat. Öffnet man das Gatter einer Kuhwiese, dann muss es natürlich auch wieder geschlossen werden. Hat man Müll, so nimmt man den wieder mit.
Es war von Anfang an für jeden Schweden selbstverständlich, dass mit diesem „Recht“ die Rücksichtnahme gegenüber der Natur mit Ihrer Tier- und Pflanzenwelt, dem Grundbesitzer und anderen Menschen und deren Privatbesitz einhergeht.
Heute liest man vielfach „Nicht stören und nicht zerstören!“ und das finde ich auch eine sehr gute Übersetzung. Leider gibt es heutzutage immer mal wieder sehr extreme Auswüchse:
Ich kenne Berichte von Schweden, die plötzlich Touristen in ihrem Vorgarten hatten, die dort die Johannisbeeren gepflückt haben. Auf Nachfrage wurde sich auf das Allemansrätt berufen. Urlauber gehen mit der Säge durch den Wald und fällen kleine Bäume für Brennholz. Das ist in Schweden ja erlaubt. An privaten Stränden (leicht dadurch zu erkennen, dass man vom Ufer ein Wohnhaus sieht, vielleicht ein Boot liegt oder ein Steg vorhanden ist) gehen Menschen an Land, um ihre Notdurft zu verrichten und zu campen, ohne sich von den Besitzern stören zu lassen – klar Jedermannsrecht. Bei Waldbrandstufe 5 (die Skala geht bis maximal 6, dann brennt es aber schon fast) muss trotzdem ein Lagerfeuer gemacht werden, weil es ja zu einem perfekten Urlaub dazugehört.
Das sind sicher die extremen Ausnahmen, keine Frage. Mit eine Ursache dafür ist meiner Meinung nach, dass der Schwede vom Gemüt her ein unglaublich netter und zurückhaltender Mensch ist. Die Schweden, die ich kennengelernt habe, scheuen geradezu jeden Konflikt. Die schimpfen nicht rum, wie wir Deutschen, die ärgern sich still in ihrem Kämmerlein. Der Schwede sagt noch nicht einmal gerne „Nein“, man bekommt dann in so einem Fall keine Antwort, das ist für den Schweden damit selbsterklärend.
Und weil kaum jemand etwas sagt, im Idealfall schimpft und schreit, muss ja alles so richtig sein und der Tourist fährt nach diesem tollen Abenteuerurlaub wieder glücklich nach Hause – Schweden ist halt sein Lieblingsland.
Aber die kleinen Veränderungen werden oft gar nicht bemerkt: Früher gab es hier in den kleinen Waldwegen kaum Durchfahrt-Verboten-Schilder oder Schlagbäume, heute sieht man die in ganz vielen Wegen. Die Schweden haben eben doch keine Lust, immer wieder den zurückgelassenen Müll wegzuräumen oder mit der Angst zu leben, das womöglich trotz Waldbrandstufe ein Lagerfeuer gemacht wird. Sie möchten an „ihrem“ See ungestört baden können, wie früher auch. Aber wenn dort jemand für mehrere Nächte campiert, dann geht das nicht.
Auch die Schweden essen gerne Blaubeeren und Pilze, aber wenn schon industriemäßig alles „abgeerntet“ wurde, damit 20 Gläser Blaubeermarmelade mit nach Hause genommen werden können, dann hat das nichts mehr mit dem Jedermannsrecht zu tun. Jeder darf natürlich gerne seine Blaubeeren, Preiselbeeren und Pilze sammeln, aber müssen es an einer Stelle immer gleich alle sein? Lasst doch von diesen Leckerbissen auch etwas für die Wildtiere und den Nächsten stehen.
Mir ist völlig klar, dass ich hier jetzt polarisiere, aber vielleicht kann sich der ein oder andere ja mal an seine eigene Nase fassen und denkt das nächste Mal ein wenig nach, bevor er etwas tut. Nehmt Rücksicht, seid leise, fragt, ob etwas erlaubt ist. Und fangt nicht wie selbstverständlich an, in eurer Muttersprache an zu reden. Fragt doch, welche Sprache euer Gegenüber spricht.
Und vielleicht erlebt ihr dann ja noch ein ganz anderes Schweden?!
Einen großen Dank, dieser Beitrag ist sehr gut geschrieben!
Wenn alle Touristen dies ein wenig beachten würden gäbe es in Schweden nicht immer mehr Verbotschilder, Schranken und Zäune. Sonst haben wir hier auch bald Zustände wie in Deutschland wo es nur noch Verbotsschilder, Schranken und Zäune gibt denn das möchte hier keiner haben! 🙁
Thema: industriemäßige Ab-ernte in den Wäldern und Mooren von Schweden und WARUM lässt ihr Schweden das mit eurer Natur machen? Es sind schwedische Firmen, die jedes Jahr so über 6500 Thailander zur „Ernte“ als Beerenpflűcker einfliegen lassen!!! Quelle: weltspiegel reportage am 08.03.2020 ich habe da kein Verständnis für irgendwelche Arbeitsbedingungen, weil mich die Ausbeutung der Natur anwiedert und alle die das jedermannsrecht ausnutzen!
Hallo Ramona, das ist sicher eine berechtigte Frage. Der Grund ist wahrscheinlich der gleiche, aus dem Menschen Tiere als „Nutztiere“ unter katastrophalen Bedingungen halten und ausbeuten, aus dem Pestizide gesprüht werden um „Unkräuter“ zu vernichten, aus dem das Gemüse einer Normgröße entsprechen muss und, und, und. Es muss alles zu jeder Zeit verfügbar sein und es muss alles möglichst billig sein. Der Einzelne ist nicht bereit sich einzuschränken und zu verzichten. Geiz ist geil und statt Fortschritt habe ich das Gefühl, dass wir uns massiv im Rückwärtsgang befinden. Wo uns das hinführt werden wir sehen.