Vom Eintauchen in Smålands Wälder
Gastbeitrag von Guido Sauer
Waldbaden? – Nachdem ich auf den Begriff vor wenigen Jahren zum ersten Mal stieß, fiel meine spontane Reaktion – um es vorsichtig zu sagen – nicht gerade wohlwollend aus. Ich war kritisch, mehr als nur skeptisch. Roch das Ganze nicht allzu offensichtlich nach Esoterik und bloßer Geschäftemacherei?
Tatsächlich hat die Tourismusbranche mit dem Begriff sehr schnell einen neuen Trend für sich entdeckt. Und so verzeichnen die unterschiedlichsten Veranstalter – inzwischen auch in Deutschland – starken Zulauf, auch wenn es „Waldbaden“ bei uns nicht nach ärztlicher Verordnung und auf Rezept gibt.
Dies verhält sich in Japan durchaus anders.
Shinrin – yoku wird dort medizinisch verordnet. Seit den 1980er Jahren wurde hier die gesundheitsfördernde Wirkung von Waldspaziergängen erforscht. Im Rahmen des Medizinstudiums kann sich ein angehender Arzt oder eine angehende Ärztin sogar auf „Waldmedizin“ spezialisieren. Auch gibt es ein wissenschaftlich arbeitendes Zentrum für Waldtherapie.
Ob nun in Form eines Spazierganges oder von Sport – zahlreiche Studien belegen, dass ein Aufenthalt im Wald die menschliche Psyche und das körperliche Wohlbefinden positiv beeinflussen kann.
Natürlich hätte ich niemals bestritten, dass ein Besuch im Wald eine bedeutende Rolle für unser Wohlbefinden spielt. Aber warum denn gleich den Badeanzug hervorkramen?
Von Robin Hood und anderen Waldmännern
Ich kann nicht genau sagen, wann und wodurch mein Interesse am Wald, meine Liebe zu den Bäumen geweckt wurde. Vielleicht fing alles damit an, dass bereits mein aus dem Romanischen stammender Name eine Beziehung vermuten lässt (das italienische Guido ist schließlich nichts anderes als eine viel hübscher klingende Variante des germanischen Withold – Wit = Wald und Hold = Kerl, also Waldmann!).
Allerdings erinnere ich mich an eine in frühester Kindheit vorhandene Vorliebe für alles, was mit dem Wald zu tun hatte. Ich hielt mich gerne im Wald auf und erkundete im freien Spiel mit meinen Freunden all das, was dort unsere Sinne ansprach. Dabei bot uns der Wald ein geradezu ideales Forum. So drängte uns die Beschäftigung mit den gemeinsamen literarischen Helden immer wieder in diesen Ausnahmeraum. Robin Hood und selbst Huckleberry Finn lebten ja schließlich auch ihr nonkonformistisches Leben im Schutz der Bäume.
Früh fühlte ich mich im „Grünen“ von all den Zwängen befreit, denen ich mich als Schulkind und Jugendlicher so sehr ausgesetzt sah. Gehölze jeder Art, Gebüsch und der tiefe Tann der Märchen und Sagenwelt bedeuteten mir viel. Der Wald rings um ein gewisses „gallisches Dorf“ hatte es mir ebenso angetan. Aus einem ganz anderen Holz waren die Ents geschnitzt, denen J.R.R. Tolkien in seinen Büchern eine so bestimmende Rolle zuschreibt. Nicht weniger als das aus den Fugen geratene Gleichgewicht der Tollkinschen Welt hängt von diesen Baumwächtern ab.
Als ich mich während des Studiums intensiver mit den mythologischen Entwürfen des Oxfordprofessors beschäftigte, begann ich zu ahnen, was für eine kulturgeschichtliche Bedeutung von unserem Waldbegriff ausgeht.
Nicht zuletzt besaßen meine Frau und ich für einige Jahre ein kleines Haus im Teutoburger Wald. Eine Holzhütte, kaum mehr. Dort verbrachten wir mit unserer Tochter viele Wochenenden. Hier durften wir den Wald zu jeder Jahreszeit erleben. Zwar fehlten im Winter die leuchtenden Farben der Blätter. Die tausend Abstufungen des Grüns im frühen Sommer und die atemberaubende Sinfonie in Rotbraun im Herbst. Aber selbst dann waren Vögel zu hören, Eichhörnchen, Füchse und Rehe zu beobachten.
Natürlich atmeten wir selbst im Winter die sich in der Umluft befindlichen Terpene. Die Bäume verwenden diese Botenstoffe, um miteinander zu kommunizieren. Mit Hilfe der Terpene gelingt es ihnen auch, effektiv Schädlinge abzuwehren.
Terpene werden über Blätter und Nadeln gleichermaßen abgesondert und befinden sich – hochkonzentriert – in der „guten“ Luft des Waldes. Bei jedem Aufenthalt nehmen wir sie unweigerlich über unsere Haut und die Atmung auf.
Waldgeschäfte
Nicht bloß die Touristikbranche feiert Erfolge mit dem Begriff des Waldbadens. Das ist an sich schon okay. Schließlich gibt der Erfolg all denjenigen Recht, die behaupten, dass die Wirkung eines Aufenthaltes im Wald mehr bewirkt als die Lektüre eines der angesagten Achtsamkeitsratgeber in den Regalen unserer Buchhandlungen.
Problematisch bleibt jedoch aus meiner Sicht neben der Kommerzialisierung des Waldthemas ein ganz anderer Aspekt.
Nicht erst seit uns die Auswirkung einer Pandemie gesamtgesellschaftlich beschäftigt, boomt das Geschäft mit der Esoterik. In vielerlei Hinsicht wird hier tatsächlich kaum mehr als ein harmloses „Erlebnisangebot“ gemacht. Ja, Menschen wollen spannende Erlebnisse und intensive, vielleicht sogar spirituelle Erfahrungen machen. Die geistige Sinnsuche ist vermutlich tiefer in uns Menschen verankert als es uns selbst oft bewusst ist. Gefährlich wird es jedoch dann, wenn auf einem alleinseeligmachenden Pfad Glück oder Gesundheit versprochen wird. Eine Methode, die als einzige Evidenz lediglich die persönliche, spirituelle Erfahrung der jeweils „Eingeweihten“ zulässt, ist und bleibt zumindest fragwürdig und auf alle Fälle riskant irrational.
Ist „Waldbaden“ dann nicht viel mehr als eine Modeerscheinung, mit der sich ein lukratives Geschäft machen lässt?
Schwedische Waldbadetage
Als meine Frau und ich davon erfuhren, dass Bärbel Belling neben ihren Waldwanderungen durch die südschwedische Natur auch ein Waldbad anbietet, wurden wir hellhörig. Schließlich kannten wir Bärbel ja bereits als sensiblen Naturguide und verlässliche, freundliche Gastgeberin aus dem „Schwedenparadies“. Wir hatten keine Zweifel: Ein Waldaufenthalt mit Bärbel würde sich sicher nicht in eine übersinnliche Baumumarmungspartie verwandeln. Letztlich waren es aber ihre Expertise als Waldkennerin und ihr stets mitfühlender und sozial kompetenter Umgang mit allen zwei- und vierbeinigen Lebewesen, die für uns sicherstellten: Mit Bärbel zusammen würden wir keinen esoterischen Holzweg betreten!
Was aber würde passieren?
Als wir uns schließlich auf unser erstes Walderlebnisbad in Schweden einließen, war immerhin soviel klar: Eine Badehose würde nicht gebraucht.
Dass bereits der Anblick eines Waldes die Stresshormone senkt, war uns klar. Wie aber würde es funktionieren, „absichtslos in das Walderleben einzutauchen“? Nicht viel weniger steckt nämlich hinter dem Konzept des Waldbadens.
Absichtslos etwas zu beabsichtigen – und sei es auch nur ein kurzer Gang unter den wunderbaren Bäumen des sommerbelaubten südschwedischen Waldes?
Unser alltägliches Denken ist zumeist zielorientiert. So stört einen zunächst der offensichtliche Widerspruch: Wenn das Waldbaden doch „etwas bringen“ soll, dann geschieht es ja „absichtsvoll“, verfehlt demzufolge sein Ziel und wäre – was dies betrifft – zumindest sinnlos.
Auch die Vorstellung, dass das Waldbaden von einem Arzt/einer Ärztin verordnet würde, hebt den Widerspruch keineswegs auf.
Im vorbereitenden Gespräch mit Bärbel erklärte sie zunächst, was für sie absichtsvolles Handeln bedeutet. Einen Plan zu erstellen, zielführend, bewusst und konzentriert auf ein bestimmtes Ergebnis hin zu arbeiten. Strukturen und sinnvolle Arbeitsschritte festlegen. Einen Rahmen selbstbestimmt oder sachorientiert festlegen. Diese durchaus positive Form des strategischen Vorgehens führt in der Regel zu dem gesteckten Ziel. Aus dem Berufsalltag kennen wir ähnliche Taktiken und wissen die Ergebnisse solcher Vorgehensweisen meistens zu schätzen. Gleichzeitig entsteht durch absichtsvolle Pläne und verkettete Strukturen oft auch Stress. Ein ungesundes Gefühl, von dem wir uns dann gerne eine „Auszeit“ nehmen.
Genau diese Auszeit könnte darin bestehen, dass man, ohne ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, sozusagen „absichtslos“, durch den Wald geht und alles ohne einen zuvor festgezurrten, genau definierten Zweck unternimmt.
„Man verfolgt kein Ziel, hat keinen festgelegten Plan – keine Kalkulation.“, erklärte uns Bärbel. „Man taucht sozusagen ohne eine bestimmte Erwartungshaltung in den Wald ein.“
„Herrschaft über den Augenblick“
Das Bild vom Eintauchen in ein anderes Element machte für mich einen Sinn.
Spontan fühlte ich mich an den Van Morrsion Song „No Guru, no method, no teacher …“ erinnert.
„Der Weg ist ja schon das Ziel!“, behauptet Bärbel und macht die komplexe Bedeutung dieses hinlänglich bekannten Spruches gleich noch deutlicher:
„Zufriedenheit im Augenblick – weil man ja immer ganz genau da ist, wo man hinwollte!“ Oder, wie Marie von Ebner Eschenbach es einmal zugespitzter formulierte: „Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.“
Wenn man, wie Bärbel, davon ausgeht, dass alles, wonach man sucht, bereits da ist, braucht es schließlich keine weitere methodische Zielsetzung. Wir nehmen wahr, was um uns herum ist. Das Zwitschern der Vögel, die wärmende Sonne, das Rauschen der Blätter.
Und unmerklich wird so unsere Wahrnehmung selbst zum Schlüssel!
Eine Wahrnehmung ohne Bewertung kannte ich bereits aus der kunsttherapeutischen Praxis. In der Gestalttherapie gibt es den Begriff der paradoxen Veränderung. Hier geht es um eine Veränderung, die ganz im Gegensatz zu unserer sonst so zielorientierten Vorgehensweise prozessorientiert ausgerichtet wird.
Man könnte es vielleicht in einem Satz wie folgt zusammenfassen:
„Versuche nicht zu werden, was du nicht bist.“ Oder präziser: „Veränderung geschieht erst dann, wenn du nicht mehr zwanghaft versuchst, dich zu verändern.“
Bei diesem therapeutischen Ansatz wird davon ausgegangen, dass Heilung bereits durch das Wahrnehmen des Augenblicks geschieht.
Die Aktivität der Amygdala, also die Region unseres Hirns, die besonders in Angstzuständen wirksam ist, wird stark reduziert und beruhigt sich zusehends.
Nimmt man diesen therapeutischen Ansatz ernst und überträgt ihn auf das „Waldbaden“ bedeutet dies: Wir müssen nicht erst darüber nachdenken, wie wir das Waldbaden „richtig“ machen. Der Umgang mit dem Experiment Wald ist vielmehr spielerisch-ziellos und insofern genauso absichtslos wie das echte, freie Spiel!
Mit dem Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes gilt es jeden Zweck, jede Anstrengung zu vergessen.
Und genau dabei hilft Bärbel bereitwillig bereits zu Beginn des Experiments mit einem speziellen Einstiegsritual.
Ab in die Waldeinsamkeit
Nachdem wir ein gutes Stück mit dem Auto gefahren sind, verlassen wir die Landstraße. Ab jetzt holpern wir weiter über Stock und Stein. Es geht vorbei an malerischen Waldbauernhöfen und von Steinsklettmauern umrahmten, aber längst verlassenen, Scheunen. Bald werden die Wege schmaler und schmaler. Schließlich lassen wir unser Fahrzeug stehen. Bevor es zu Fuß weitergeht, verschnaufen wir kurz, sammeln uns innerlich und halten Einkehr.
Neben den digitalen Endgeräten lassen wir hierbei auch Einiges an „Alltagsballast“ zurück.
Es folgt eine Geh-Meditation.
Sehr schnell verlieren wir uns dabei im eigenen Tun. Im Singsang der Worte und all den auf die eigenen Schritte bezogenen, sehr bewusst gemachten, Atemzügen.
Da unser „Tauchcoach“ Bärbel sich bestens im Terrain auskennt, besteht zu keinem Zeitpunkt die Gefahr, sich im Hier und Jetzt zu verlieren.
Die nächste menschliche Behausung dürfte Kilometer entfernt sein. Und da eine als städtisch zu bezeichnende Ansiedlung außerhalb unserer Reichweite liegt, hört man nicht einmal das sonst übliche leise Grundrauschen einer Fernstraße. Nicht ein einziges Flugzeug malt seine Spuren in das Himmelsblau über unseren Köpfen. Uns wird bewusst, dass es in kilometerweitem Radius keinerlei ansässige Industrien gibt. Was wir jetzt atmend in uns aufnehmen, ist sicherlich echte Waldluft.
Auf dem einsamen Fahrweg begegnet uns ein älterer Mann, der mit seinem archaisch wirkenden Mofa in die entgegengesetzte Richtung unterwegs ist. Aus der Waldeinsamkeit zurück in die Zivilisation? Wir nehmen dieses surreal anmutende Rendezvous zur Kenntnis – mehr nicht. Dann verlassen wir den Weg und betreten mit unseren Füssen den teppichweichen, bemoosten Waldboden.
Eh wir uns versehen, sind wir längst in das Element Wald eingetaucht.
Zuhause bei Miraculix?
Der Wald spielt sicher nicht zufällig eine so bedeutsame Rolle in vielen Geschichten, Erzählungen, den Sagas, Mythen und unseren Märchen. Vermutlich ist unser besonderes Verhältnis zum Wald eine Art Echo auf die Tatsache, dass die Spezies Mensch selbst aus dem Wald hervorgegangen ist. Man könnte behaupten, dass die großen Wälder uns Menschen – ungeachtet aller Gefahr – nur deshalb als Orte, an dem man tiefe Einsichten gewinnen kann, gelten, weil unsere Vorfahren Kinder des Waldes waren.
Unsere Verbundenheit mit den Bäumen hat schließlich evolutionäre Wurzeln. Erdzeitgeschichtlich ist unseren primatenartigen Vorfahren der Wald im Tertiär solange ein sicheres „Zuhause“ gewesen, bis überlegenere und stärkere Menschenaffen uns aus dem grünen Paradies vertrieben. Unsere Vorfahren kamen so – ganz nebenbei – zum aufrechten Gang und eroberten schließlich die Baumsavannen für sich. Der Wald blieb jedoch wesentlicher „Bezugspunkt“ für die unmittelbar nachfolgenden Kulturen. Entwicklungsgeschichtlich haben uns Bäume elementar geprägt. Die menschliche Physis wie auch die Psyche ist durch das „Element Wald“ geradezu disponiert.
Unsere bloße Anwesenheit im Wald wirkt sich daher oft positiv auf uns aus. Viele Menschen fühlen sich im Wald so wohl, wie Fische sich im Wasser wohl fühlen.
Dabei leben die Bäume des Waldes zumeist deutlich länger als wir. In den Wäldern dieser Erde kommunizieren sie bereits seit Jahrhunderten perfekt aufeinander abgestimmt auf ihre eigene Weise. Der Wald ist – für sich genommen – ein ordnendes Netzwerk. Mit seinem „wood-wide-web“ repräsentiert er ein System der sozialen Fürsorge, das uns Kulturwesen sprachlos macht. Der Wald bietet alles, was man zum Leben braucht! Man kann sich in ihm und von ihm ernähren.
Ganz ähnlich wie die Höhle erscheint auch der Wald als eine Art Rückzugsort. Doch anders als die unterirdische Zuflucht vermittelt das Refugium unter Bäumen nicht bloß Geborgenheit und Schutz, sondern überdies Offenheit, Freiheit und wirkt als ein Ort der Erbauung. Wie eine Oase kann er zum Ruheplatz und mit seinen positiven Schwingungen für den Menschen zu einer Art Tankstelle werden.
In vielen Kulturen wusste man, dass der Wald sich positiv auf das menschliche „Schwingungssystem“ unseres Körpers auswirkt. Ein Aufenthalt unter einem grünen Laubdach hellt selbst verdunkelte Seelenzustände auf.
Immer schon zogen sich Menschen daher in den Schutzraum Wald zurück, wenn ihnen die laute und bunte Welt des Alltags zu viel wurde. Der Raum des wilden, ungezähmten Waldes diente auch als Ort für die Initiation.
In den meisten großen Geschichten der durch den Wald geprägten Kulturen wird von einer Alltagsflucht in den Wald berichtet. So flüchtet sich Merlin aus der seinen Geist krankmachenden Menschenwelt in einen schattigen Wald.
Die keltischen, germanischen aber auch die römischen und griechischen KollegInnen des allseits bekannten Druiden Miraculix hielten ihre Treffen in einem für sie heiligen Hain ab. Seit Plinus und Lucanus wissen wir, dass der Wald zu einem sakralen Ort, einem Tempel ohne Mauern und Steine werden konnte. Eine Begegnung mit dem, was über das Menschliche hinausgeht, ja sogar die Berührung mit und durch eine Welt nach dem Tod, schien hier absolut möglich. Kein Wunder also, dass ein Rückzug in die Einsamkeit des Waldes für manch einen „Erleuchtung“ versprach. Weltweit fühlten sich Schamanen mit den Bäumen verwandt, bezeichneten sie als ihre Cousins und vertrauten fest auf die „Weisheit der Bäume“.
Die Beschäftigung mit den unzähligen Motiven derer, die im Laufe der Menschheitsgeschichte und in den verschiedensten Kulturen in die „Waldwirklichkeit“ eingetaucht sind, macht deutlich, dass es – bei allen Unterschieden – doch Gemeinsamkeiten gibt. Allen nach höherer Einsicht strebenden „Gehölztauchern“ scheint zumindest eine gewisse fokussierende Kraft des Waldes vertraut gewesen zu sein.
Staunen im Wald
Dies gilt allerdings auch in weitaus profaneren Zusammenhängen:
Wenn wir uns heute im Wald aufhalten, haben wir immer NETZ!
Kein Netz, das nach AUSSEN führt, sondern ein Netz, dass uns beim Fokussieren hilft!
Bärbel nutzt die Chance und lässt uns in diesem Sinne deutlich mehr als bloß „einen Gang runter schalten“. Bärbels Co-Trainer, die Bäume, Sträucher, Pflanzen, Tiere und Mineralien helfen dabei mit. Die Entschleunigung wirkt sich spürbar aus. Wir verlieren das Gefühl für jede „äußere“ Zeit und lassen uns von unseren Gefühlen treiben.
Das Waldtauchen, soviel ist zwischenzeitlich klar geworden, gefällt uns sehr. Es hat nicht nur unseren kindlichen Spieltrieb geweckt, sondern führt uns an Orte, die wir sonst sicher nie für uns entdeckt hätten. Es konfrontiert uns mit „Geschenken“, die wir erst auf den zweiten Blick als solche identifizieren. Es lässt uns Freude und Dankbarkeit empfinden, indem wir uns einfach Schritt für Schritt dem Weg, der unter unseren Füßen entsteht, überlassen.
So staunen wir hier über die figurative Gestalt eines Steines, bewundern dort die an einen menschlichen Körper erinnernde Anatomie eines umgestürzten Baumes. Wir lassen uns faszinieren von der Struktur eines Farnes und fühlen uns überwältigt von der schier unglaublichen Weichheit der teppichdicken Moose unter unseren nackten Füßen.
Beinahe ehrfürchtig erspüren wir das Gewicht einer gefundenen Elchgeweihschaufel. Es bedarf immer weniger Worte, um dem jeweils anderen die Freude über das Erlebte mitzuteilen. Wir sehen und schmecken, wie freundlich uns der Wald entgegen tritt und freuen uns zusammen über die vielen aufsteigenden inneren Bilder und Assoziationen.
Es scheint so, als ob unser Alltags–Ich bereitwillig einen Schritt zur Seite getreten ist. Geradezu staunend erleben wir gemeinsam den Augenblick und die Gegenwart.
Ja, der gemeinsame Aufenthalt im Element Wald hat eine starke soziale Komponente! Im stillen Austausch und im achtsamen Gespräch mit den Teilnehmern spielt dies eine nicht zu unterschätzende Rolle. In solchen verbindenden Momenten gibt es keine rational motivierte Bewertung, keine urteilenden Gedanken. Der Wald zeigt sich uns im Hier und Jetzt scheinbar so, wie zu einem allerersten Mal. In diesem Hier und Jetzt erfahren wir uns außerdem als selbstwirksam Handelnde.
Das menschliche Staunen galt den antiken Philosophen als Ursprung allen Philosophierens. Und so „philosophieren“ auch wir noch lange auf unserem Rückweg aus der Waldeinsamkeit. Schnell wird uns klar, dass unser „Sprechen“ anders geworden ist. Nach dem mehrstündigen Aufenthalt im anderen Element „plappert“ es sich weniger aufgeregt und schnell.
Die gewonnenen Eindrücke des gemeinsamen Tauchganges wirken lange und weit über den Augenblick. Zum Glück werden meine Frau und ich nicht mit einem Schwung in den Alltag entlassen. Wir verbringen den restlichen Tag auf der Terrasse unseres Holzhauses im „Schwedenparadies“. Von hier führt ein schmaler Pfad unter den Bäumen hin zum Strand des sonnenbeschienenen Unnen. Am späten Nachmittag kramen wir kurzentschlossen unsere Schwimmsachen hervor und baden im glasklaren und spiegelglatten See.
Hallo Guido,
jetzt bin ich es einmal selbst, die einen Kommentar zu einem Blogbeitrag schreibt.
Vielen Dank für deine Mühe und den tollen Beitrag. Du schreibst mir direkt aus der Seele. Die Angst, in eine Schublade für esoterische Sinnsuche, spinnerte Baum-Umarmerin oder ähnliches zu gelangen, war bei mir sehr groß und hat mich lange abgehalten, das Angebot an den Markt zu bringen. Die Wirkung des Waldbadens ist unstrittig, die Umsetzung sehr individuell und manchmal fragwürdig.
Ich freue mich sehr, wenn es euch gefallen hat und werde meiner Linie treu bleiben.
Bärbel